Zusammenfassung
Die heute angestrebte größtmögliche Wirksamkeit des digitalen Finanzmarkt-Kapitalismus trägt in sich „Supergau-Potenzial”. Die Gegenwartsschrumpfung übersetzt sich für
den Einzelnen in Bindungsverlust und Entwicklungsblockaden. In der Arzt-Patient-Beziehung
werden diese Prozesse konkret, in der Balintarbeit werden sie permanent reflektiert.
Die Zunahme psychischer und psychosomatischer Erkrankungen ist sichtbarer Ausdruck
dieses Prozesses. Negationen, Anpassungsdruck und Gegenwartsschrumpfung haben im digitalen
Zeitalter gesellschaftliche Konsequenzen für Lebensentwürfe und Überlebensstrategien,
auf Bindung und Entwicklung, für Vertrauen und Misstrauen. Mit Kontrollen, Qualitätssicherungen
und Evaluationen wird Misstrauen kaum zu bannen sein. Evaluation ist das Schlüsselwort
unserer Zeit, hinter dem sich ein ungeheures Kontrollbedürfnis versteckt. Der Mensch
aber verkümmert daneben zu einer vernachlässigbaren Größe oder Luxusfrage. „Dafür haben wir keine Zeit!“ Gesundheit, Lebensqualität, Überlebensfähigkeit hängen aber aufs Engste mit Fragen
der Salutogenese, dem Sense of Coherence und der Ethik der Nachhaltigkeit zusammen.
Die „Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ und der Strukturwandel haben den
6. Kondratieff-Zyklus erreicht, also den Gesundheitsmarkt mit dem größten Veränderungspotenzial
unserer Gegenwart. Sie machen keinen Halt vor dem Individuum und auch nicht vor dem
medizinischen Bereich. Das Leben selbst und somit wir alle sind auf Strukturwandel
angewiesen, allein schon aus dem uns allen angeborenen, also immanenten Überlebenswunsch.
Abstract
Today’s striving for the greatest possible effectiveness of digital (or cyber-)capitalism
is so dangerous, that we should think of it in terms of a worst-case scenario (MCA,
maximum credible accident). The contraction of the present (the loss of a time-space
perspective) translates for the individual into a loss of attachment and a blockage
of development. We find these processes in doctor-patient relationships and they are
a continuous subject of reflection in Balint Work. The increasing prevalence of psychic
and psychosomatic illnesses are tangible expressions of these processes. Attachment
and development as well as trust and distrust are the topics of the future. Can we
ward off distrust and strengthen trust by means of controlling, quality management
and evaluation? Evaluation is a key concept in our time, behind which is concealed
an enormous need for control. Trust is a very different matter. Human beings shrivel
to insignificance. “There’s no time for that!” Health and sanity, quality of life and the ability to survive all depend to a great
extent on questions of salutogenesis, a sense of coherence and the ethic of sustainability.
The “erosion of social cohesion” and structural change have now reached Kondratieff’s
Sixth Cycle, where the health market offers the greatest potential for change in our
time. This erosion and structural change show no concern either for individuals or
for the medical profession. Life itself and consequently all of us are dependent on
structural change if for no other reason than our inborn and immanent desire to survive.
Schlüsselwörter
Anpassungsdruck - Gegenwartsschrumpfung - digitaler Kapitalismus - implizite Axiome
- sechster Kondratieff Zyklus - Persönlichkeitsveränderungen - Grundstörung - Balintarbeit
- strukturelle Kopplung - Nachhaltigkeit
Key words
pressure for adaptation - contraction of the present - digital capitalism - implicit
axioms - Kondratieff’s Sixth Cycle - personality modifications, basic fault - Balint
Work - structural linking, sustainability
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1 Das war unsere Annahme, als wir im Frühjahr 2008 diese Arbeit ahnend besprachen.
Inzwischen ist der Supergau eingetreten. Wir beginnen die Folgen zu sehen. Was werden
wir ändern?
2 Mit den von ihm so benannten pathischen Hilfsverben von müssen und sollen, von können,
mögen und dürfen sowie ihren Verneinungen: Das „muss ich nicht, das soll ich nicht,
das kann, mag oder darf ich nicht“ konstruierte er das, was er dann ein „pathisches
Pentagramm“ nannte – eine vorzügliche Hilfskonstruktion für menschliches Fühlen, Denken
und Handeln.
Prof. Dr. med. E. R. Petzold
Goethestraße 5
72127 Kusterdingen
Email: erpetzold@gmx.de